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Montag, 9. Februar 2015, 10:35

Airlines gefährden Passagiere mit giftigen Dämpfen

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In Passagierflugzeugen häufen sich die Zwischenfälle mit verseuchter Kabinenluft. Behörden und Airlines haben offenbar verharmlost. Die Boeing 757 ist Spitzenreiter in der Vorfallstatistik.

In den vergangenen sechs Jahren sind deutlich mehr Fälle kontaminierter Kabinenluft in Passagierflugzeugen registriert worden als bisher bekannt. Behörden und Airlines haben das Problem offenbar verharmlost. Das zeigen neue Fallzahlen und Statistiken, die von der Bundesregierung auf Anfrage der Grünen vorgelegt wurden. Die Auflistung, die der "Welt" vorliegt, offenbart, dass das Verkehrsministerium seine Zahlen mit jeder weiteren Anfrage aus der Vergangenheit nach oben korrigieren musste, auch für die vorangegangenen Jahre.

So untersucht die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) inzwischen drei als Unfälle eingestufte Vorfälle mit kontaminierter Kabinenluft. Ein Vorfall, der sich bereits im November 2012 in einem Lufthansa-Airbus A320 auf dem Flug von München nach Moskau ereignet hatte, wurde erst im Dezember 2014, also "rückwirkend", als Unfall klassifiziert. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter zeigte sich alarmiert: "Seit Jahren führt uns das Verkehrsministerium an der Nase herum. Mit dieser Verschleierungspolitik riskiert das Ministerium die Gesundheit der Fluggäste."

Auf die Anfrage des Grünen-Tourismusexperten Markus Tressel kommt jetzt erstmals eine Aufstellung nach den betroffenen Flugzeugtypen ans Licht. Demnach ist die Boeing 757 Spitzenreiter in der offiziellen Vorfallstatistik. 76 Zwischenfälle, die von den Behörden als Störung, schwere Störung oder sogar als Unfall eingestuft wurden, sind hier seit 2008 erfasst. Dieser Flugzeugtyp wird in Deutschland nur von der Ferienfluglinie Condor betrieben. Das Unternehmen, das 13 Maschinen dieses Typs einsetzt, wollte sich nicht dazu äußern.

Nach den neuen Zahlen sind Airbus-Flugzeuge insgesamt stärker betroffen als Boeing-Maschinen. Die Statistik erfasst 27 Fälle mit dem Airbus A330, der von Air Berlin und Lufthansa eingesetzt wird, gefolgt vom Modell A320 mit 23 Fällen und dem modernen Lufthansa-Flaggschiff A380 mit immerhin 19 Vorkommnissen. Diese hohe Zahl bei einem recht jungen Flugzeug findet Tressel "besonders ärgerlich".

Öldämpfe gelangen in die Kabine

Konstruktionsbedingt dringen auf jedem Flug geringe Mengen erhitzter Rückstände aus den vollsynthetischen Triebwerksölen in die Atemluft für die Kabine ein. Einzige Ausnahme ist die Boeing 787, bei der die Atemluft nicht über die Triebwerke produziert wird. Für alle anderen Typen gilt: Wird eine Dichtung durchlässig oder versagt vollständig, gelangen dichte Öldämpfe in die Kabine.

Noch ist nicht abschließend geklärt, wie gesundheitsschädlich diese Dämpfe sind. Bekannt ist aber, dass sich in den Ölen schädliche Chemikalien befinden und dass Flugpersonal und Passagiere nach Öldampf-Vorfällen Auffälligkeiten des Nervensystems aufwiesen. Hier stehen besonders die sogenannten Organophosphate im Verdacht, auf das Nervensystem einzuwirken. Diese Chemikalien wurden ursprünglich einmal als Kampfstoffe und Nervengifte wie beispielsweise Sarin entwickelt und werden im Triebwerksöl als Flammschutz und Weichmacher genutzt.

Besorgt äußerte sich der Grünen-Politiker Tressel über die dramatisch angestiegenen Fallzahlen der zuständigen Berufsgenossenschaft (BG). Wenn Piloten oder Flugbegleiter nach einem Kabinenluft-Vorfall länger als drei Tage ausfallen, erfolgt eine Unfallanzeige an die BG-Verkehr. Dort wurden allein in den vergangenen zwei Jahren knapp 600 solcher Unfallanzeigen registriert. "Wir sprechen hier also längst nicht mehr von isolierten Einzelfällen, wie man es uns noch vor ein paar Jahren glauben machen wollte", sagte Tressel.

Industrieeigene Studien

Die Auffassung des Grünen teilt auch der Linken-Verkehrsexperte Herbert Behrens: "Die Verantwortlichen der deutschen Luftverkehrswirtschaft und der BG-Verkehr haben die Frage von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken lediglich auf der Grundlage industrieeigener Studien für erledigt erklärt. Das ist nicht akzeptabel."

Tressel fordert schon seit Jahren von der Bundesregierung, sich als Anteilseigner von Airbus dafür starkzumachen, dass der Hersteller künftig Maschinen mit Filtern oder anderen Luftsystemen ausstattet. Fragen zu diesem Komplex ließen die Ministerien für Gesundheit und für Umwelt sowie das Bundeswirtschaftsministerium allerdings unbeantwortet. Alle Ressorts verwiesen weiter an Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Das Wirtschaftsministerium teilte auf Anfrage lediglich mit, man sehe keinen Handlungsbedarf: "Der Bund übt als Anteilseigner keinen Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen aus." Dobrindts Verkehrsressort konnte bis zum Redaktionsschluss keine Stellungnahme abgeben.

Quelle: Die Welt


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Montag, 23. Februar 2015, 10:58

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Richter schlägt wegen giftiger Kabinenluft Alarm

Ein neuer Untersuchungsbericht aus Großbritannien stellt Nervengifte in der Kabinenluft von Flugzeugen fest. Ein Untersuchungsrichter befürchtet weitere Todesfälle – und fordert schnelle Maßnahmen.

Zwei Seiten hatte die Mitteilung, die in dieser Woche auf den Schreibtischen der Chefs von British Airways und der britischen Luftaufsichtsbehörde CAA landete. Doch das amtliche Papier könnte vieles verändern. In knappen und nüchternen Worten legt der Untersuchungsrichter und Leichenbeschauer Ihrer Majestät der Queen die Feststellungen von Sheriff Stanhope Payne aus der Provinz Dorset im Süden Englands dar – und fordert zum schnellen Handeln auf.

Payne ermittelt seit 2012 akribisch die genauen Todesumstände des ehemaligen British-Airways-Piloten Richard Westgate. Der amtliche Leichenbeschauer mit der Bezeichnung Coroner, der nach britischem Recht im Range eines Untersuchungsrichters steht, ist besorgt über Erkenntnisse der Ermittlungen.

Ganz unabhängig von den noch festzulegenden Todesursachen des Ende 2012 verstorbenen British-Airways-Piloten Westgate besteht seiner Meinung nach die Gefahr, dass es zu Todesfällen im Zusammenhang mit vergifteter Kabinenluft kommen kann, wenn nichts unternommen wird.

Diese tödliche Gefahr bestünde gleichermaßen für Passagiere und Besatzungsmitglieder. Nach dem englischen Gesetz ist ein Coroner in solchen Fällen verpflichtet, gegenüber den Verantwortlichen eine amtliche Meldung zu machen und Abhilfe einzufordern.

Streit geht seit Jahrzehnten

Der Bericht könnte eine Wende in einem lang anhaltenden Streit bringen. Seit 20 Jahren behaupten Flugzeughersteller, Fluggesellschaften und Luftfahrtlobbyisten, dass die Atemluft an Bord völlig ungefährlich für die Insassen sei. Doch immer größer wird die Zahl von Betroffenen, meistens Flugbegleiter, Piloten und Vielflieger, die die Ursachen für ihre Erkrankungen und Symptome an ihrem Nervensystem auf giftige Öldämpfe aus den Triebwerken zurückführen.

Bis heute gelangt die Atemluft in fast allen Flugzeugtypen – einzige Ausnahme bildet bisher die Boeing 787 – ungefiltert aus dem Triebwerk in die Kabine. Konstruktionsbedingt werden so aber auch geringe Mengen hocherhitzter Bestandteile von giftigen und gesundheitsschädlichen Chemikalien aus den Schmierstoffen in die Kabine geleitet und dort von den Insassen eingeatmet.

Je nach genetischer Veranlagung kann das schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben, warnen Wissenschaftler und Mediziner.

Fünf Feststellungen sind damit amtlich

Sheriff Payne führt in seinem Schreiben vom 16. Februar fünf Punkte auf:

1. In der Kabinenluft befinden sich Organo-Phosphate, eine als Nervengift bekannte Gruppe von Chemikalien, die als Flammschutz und Weichmacher in Triebwerksölen verwendet werden.

2. Insassen von Flugzeugen werden diesen Chemikalien ausgesetzt, was zu Gesundheitsschäden führen kann.

3. Die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Stoffe auf Piloten können – zum Beispiel bei einem Unfall – zum Tod der Insassen führen.

4. Bislang gibt es in Flugzeugen keine eingebauten Sensoren, die solche Giftstoffe in der Kabinenluft messen und davor warnen könnten.

5. Die genetischen Unterschiede hinsichtlich der Toleranz oder Intoleranz gegenüber der Exposition mit solchen Giftstoffen wurden bisher nicht ausreichend gewürdigt.

Ab jetzt wird alles öffentlich

Sowohl British Airways als auch die zuständige englische Luftaufsichtsbehörde wurden unter Fristsetzung bis zum 13. April aufgefordert, nun zu erklären, was sie wie und wann dagegen zu unternehmen gedenken. Aufgrund von Besonderheiten im britischen Recht ist das gesamte Verfahren von nun ab öffentlich.

Ganz unabhängig von diesen Feststellungen wird es jetzt auch zu einer öffentlichen Verhandlung über die Feststellung der Todesursache des verstorbenen Piloten Westgate kommen. British Airways und die britische Luftaufsichtsbehörde wurden von Sheriff Payne mit gleicher Post in diesem Verfahren als Parteien benannt und aufgefordert mitzuteilen, wer sie bei dieser Gerichtsverhandlung vertreten wird.

Damit stehen erstmalig neben der renommierten Fluggesellschaft auch die Verantwortlichen der für eine Airline zuständigen Aufsichtsbehörde in Sachen "Kabinenluft" vor Gericht.

Pilot überließ seinen Körper der Wissenschaft

British Airways wollte sich zu dem Schreiben des Coroners konkret nicht äußern. Per E-Mail teilte das Unternehmen der "Welt" dazu mit: "Die Sicherheit unserer Kunden und Besatzungen hat für British Airways größte Bedeutung und wird niemals aufs Spiel gesetzt werden."

Der Airbus-Pilot Westgate wurde aus medizinischen Gründen 2011 flugdienstuntauglich. Er litt an einer Vielzahl von Symptomen, die, wie er vermutete, auf giftige Dämpfe in der Cockpitluft zurückzuführen seien.

Da man ihm in Großbritannien nicht helfen konnte, begab er sich im Frühjahr 2012 nach Holland in die medizinisch-therapeutische Behandlung eines Spezialisten. Am 12. Dezember 2012 wurde der 43-jährige Westgate dann tot in seinem Hotelzimmer gefunden.

Vor seinem Tod hatte Westgate seinen Körper der Wissenschaft vermacht, um das "aerotoxische Syndrom" zu erforschen. So werden bereits seit 1999 von Toxikologen und Wissenschaftlern die unterschiedlichen Symptome bezeichnet, die besonders häufig unter Piloten und Stewardessen aufgetreten sind.

Wissenschaftler hatten schon Schädigungen festgestellt

Die forensisch-pathologischen Analysen an Gewebeproben aus dem Gehirn, dem Rückenmark und Nerven des Verstorbenen wurden von einem internationalen Team von Wissenschaftlern durchgeführt.

Bereits im Sommer vergangenen Jahres haben die beteiligten Wissenschaftler erste Teilergebnisse in einer Studie publiziert. Danach litt Westgate an Symptomen, die vergleichbar sind mit einer gleichzeitigen Erkrankung durch eine Herzmuskelentzündung, Leukämie, multiple Sklerose und zusätzlich einer Arsen- und Insektizidvergiftung.

Westgates Anwalt und Testamentsvollstrecker, der schottische Luftfahrt-Anwalt Frank Cannon aus Glasgow, begrüßt die deutlichen Worte von Sheriff Payne. "Es ist das erste Mal, dass ein unabhängiger Richter eine klare Stellung zu diesem Problem bezogen hat, nachdem er die Ergebnisse einer über zwei Jahre dauernden Untersuchung bewertet hat. Das ist ein wesentlicher Meilenstein, besonders auch für die vielen anderen Betroffenen, denen bisher vorgehalten wurde, ihre Krankheit und die Symptome seien nur eine Einbildung", sagte Cannon der "Welt".

"Damit ist es amtlich, dass Insassen von Verkehrsflugzeugen solchen Nervengiften ausgesetzt werden. Ein Umstand, den die Luftfahrtindustrie und ihre Lobbygruppen bisher stets vehement abgestritten haben. Jetzt müssen sie handeln."

Reaktionen auch in Deutschland

Auch in Deutschland hat der Bericht des britischen Coroners Reaktionen ausgelöst. Die Pilotenvereinigung Cockpit teilt die Besorgnis aus England. Ihr Sprecher Jörg Handwerg erklärte: "Unsere Befürchtungen bestätigen sich mit dieser Einschätzung."

Die Hersteller müssten jetzt endlich reagieren. Seit sechs Jahren hat Cockpit vergeblich Maßnahmen eingefordert, darunter auch die Nachrüstung von Filtern und Sensoren und eine Abkehr vom bisherigen Luftversorgungssystem in Flugzeugen, die solche Vergiftungen überhaupt erst möglich machen würden. Stattdessen, so die Pilotenvereinigung, leugneten die großen Hersteller Boeing und Airbus immer noch, dass es ein überhaupt irgendein Problem gebe.

Im Deutschen Bundestag setzt sich besonders der saarländische Abgeordnete Markus Tressel (Bündnis 90/die Grünen) für dieses Thema ein. Erst vor zwei Wochen hatte eine von seiner Fraktion gestellte Anfrage bei der Bundesregierung eröffnet, dass die Zahl der erfassten Vorfälle auf deutschen Flugzeugen in den letzten Jahren besorgniserregend angestiegen ist.

Zum Handeln aufgefordert

Genau wie der britische Coroner in England fordert Tressel die Verantwortlichen in Deutschland zum Handeln auf: "Wer hier jetzt weiter rumlaviert, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Der Coroner-Bericht lässt an Klarheit nichts vermissen. Auch die deutschen Behörden müssen jetzt ihre passive Abwartehaltung ablegen. Bundesverkehrsminister Dobrindt sollte sich schleunigst mit seinem EU-Kollegen im Ministerrat mit dem Thema Kabinenluft befassen."

Bereits im Herbst 2011 hatten Tressel und seine Fraktion die Bundesregierung und die EU vergeblich aufgefordert, den Druck auf die Industrie zu erhöhen und zumindest Filter und Sensoren auf Flugzeugen gesetzlich vorzuschreiben sowie die Auswirkungen von kontaminierter Kabinenluft auf den Menschen zu untersuchen. Im Herbst 2012 wurde aber auch ein ähnlich lautender Antrag der SPD-Fraktion durch die Mehrheit der damaligen Regierungskoalition abgelehnt.

Quelle: Die Welt