Sehr interessantes Thema. Na dann will ich mal meinen Senf dazugeben, frisch gemahlen aus ganzen Senfkörnern eigener Erfahrung, C172S Steamgauges versus Columbia 400 G1000:
TL,DR: Um ein Glasscockpit wirklich benutzen zu können, braucht man extrem viel Übung und man muss es permanent machen, um es nicht zu verlernen. Ohne Übung wird man vom Informationsüberfluss regelrecht erschlagen.
Im Flusi mag uns das alles recht einfach aussehen, da steht halt auf dem Schirm des simulierten G1000 alles, was wir wissen wollen, und wir können unseren Flug genauso erfolgreich zuende führen, ob wir nun G1000 oder Steamgauges fliegen.
Das liegt meines Erachtens zum größten Teil an zwei Faktoren:
1. Der Bildschirm ist viel kleiner als die echten Rundumsicht im Cockpit
2. Der Stressfaktor ist nicht da.
Beispiel: Wenn ich mit der 172 eine Platzrunde fliege, kann ich beim Eindrehen in den Endanflug den Aufsetzpunkt im Auge behalten, und ich sehe noch aus dem Augenwinkel, was der Fahrtmesser macht. Ich kann vielleicht periphär nicht sehen, ob ich jetzt 68 oder 72 Knoten fliege, aber ich sehe, ob sich die Nadel tendenziell nach links dreht und ich eventuell die Nase zu hoch habe. Gleiches gilt für den Höhenmesser: An meinem Platz weiß ich, wo der große Zeiger steht, wenn ich in den Queranflug eindrehe.
Beim initialen Anrufen des Approach-Controllers (nach Start am unkontrollierten Platz), kann ich ganz schnell sagen, in welcher Relation zum Platz ich mich befinde. Ich gucke kurz auf den Kurskreisel und sehe welche Zahl UNTEN steht, dann kann ich dem Controller sagen, ich bin 3 Meilen nord-westlich vom Platz.
Gleiches gilt, wenn ich zur Landung reinkomme: Ich schiele einmal kurz zum GPS rüber und da steht die Zahl, wieviele Meilen ich noch weg bin!
Im G1000-Flieger passiert folgendes:
-Ich glotze auf die Arc-Darstellung des HSI und addiere im Kopf 180 Grad um den Gegenkurs zu wissen. Klar, irgendwie kann ich das Ding auf 360-Rose umkonfigurieren, aber mach das mal während du mit 1000fpm auf die Untergrenze des kontrollierten Luftraums zubollerst.
-Reinkommend, rufe ich den Controller an und suche sekundenlang diese zwei riesigen Bildschirme ab, bis ich irgendwann unter diesen Myriaden von Zahlen, die da überall stehen, mal die GPS-Entfernung zum Platz gefunden habe. Währenddessen blockiere ich unnötig die Frequenz: "Columbia Tower, 428X with you ähhhhhh hang on, 22 miles to the äääähm south east of you, ööööhm 2500 descending 1200". Selbst das Ablesen des Höhenmessers dauert länger.
-Und ich muss HINGUCKEN, um in der Platzrunde den Höhenmesser abzulesen.
-Ich muss aktiv hinschauen, die Bahn aus den Augen verlieren, meine Augen neu fokussieren, eine Zahl ablesen und die Information im Kopf parsen, um zu wissen, ob ich im Endanflug zu schnell oder zu langsam bin
Diese Faktoren bekommt man am Flusi-Bildschirm nicht mit, da sich alles auf relativ kleiner Fläche abspielt. Man muss nicht groß sein Blickfeld verändern und die Augen neu fokussieren, um von der Bahn auf die Instrumente und zurück zu gucken. Im Flugzeug muss man das andauernd. Und ja, das speed-tape ist natürlich genauso grün und weiß markiert wie der Fahrtmesser, aber es vermittelt keine Relation der Geschwindigkeit bezüglich anderen Geschwindigkeiten. Beim analogen Fahrtmesser weiß ich, dass er im Anflug etwa auf 3 Uhr steht und beim Aufsetzen etwa auf 2 Uhr. Ob das jetzt 55 oder 58 Knoten sind ist mir egal. Beim Speedtape lese ich 72 Knoten ab und muss mir dann im Kopf die Relation zum Stallspeed vorstellen.
Dazu kommt der Stress. Im Flusi drück ich auf Pause, wenn ich mal gerade nicht auf der richtigen Page bin, um eine Information zu holen, die ich gerade brauche. Oder ich vergessen habe, ob ich die METARs jetzt über die APT-Page, den WX-View oder den Default Map-View aufrufen soll. Das Geht im G1000 alles drei, finde ich am Boden auch alles, aber nicht wenn ich gerade um eine Wolke drumherumfliege und im Hintergrund permanent Geschnatter ist, bei dem ich zuhören muss, es könnte ja eine Anweisung für mich dabei sein. Diese Pause-Taste fehlt in der Realität. Entweder ich finde die Information, die ich brauche, gleich, oder ich muss noch einen 360 fliegen, solange bis ich mich sortiert habe, bevor ich mich in die Kontrollzone vorwage.
Außerdem verleitet die G1000-Ausrüstung dazu, den Flugplan weniger gut auszuarbeiten. Denn man kann ja "unterwegs alles noch nachschlagen". Im Dampfcockpit habe ich mir die AWOS-Frequenzen von allen Plätzen entlang der Strecke vorher auf einen Spickzettel geschrieben und weiß daher unterwegs immer, wie es mit dem Wetter am nächsten Platz aussieht. Dass jemand, der schon unter Stress steht weil er einen Ausweichflugplatz anfliegen muss, dann noch den WX-Uplink auf dem G1000 bedient bekommt, will ich erstmal sehen.
Und das G1000 hat noch -vergleichsweise- wenig Komplexität. Ich hab mir dieses Jahr in Oshkosh das G3000 angeschaut. Interessehalber habe ich einen der Garmin-Standleute gebeten, mal einen einfachen Flugplan einzugeben. Der hat minutenlang auf Seite nach Seite, Menü nach Menü, Untermenü nach Untermenü mit diesem vollkommen bekloppten IDrive-Controller rumgedrückt und geklickt und musste am Ende zugeben, dass er nicht wusste, wie man einen Flugplan eingibt. Gut, das war wahrscheinlich irgendeine Aushilfskraft für die Messe, aber allein diese Benutzerführung ließ schon tief blicken.
Nach soviel Schwarzmalerei muss folgendes zur Relativierung gesagt werden: Das G1000 ist eine unglaublich fantastische Informationsquelle, wenn man damit umgehen kann. Es ist eine fantastische Ausstattung für komerzielle und IFR-Fliegerei. Ich kann mir kein besseres "FMC" für single-handed IFR vorstellen. Das ist ein fantastisches Tool, wenn man es jeden Tag benutzt. Wenn man es soviel benutzt, dass man jede Seite und jede Abkürzung und jede Macke im Schlaf kennt. Wer viel, oft, lang oder für Geld fliegt, wird es sicher lieben.
Aber für Hobbypiloten, die vielleicht ein, zweimal im Monat zum fliegen kommen, und zwischendrin schon längst wieder vergessen haben, ob man jetzt den Range Knopf oder den CRSR-Knop drücken muss, um den Karten-Cursor zu aktivieren, ist es völliger overkill und meiner bescheidenen Meinung nach sogar schlechter als Steamgauges, da zu überladen für den Gelegenheitspiloten.
Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von »Phil« (28. August 2013, 06:51)