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Mittwoch, 27. Mai 2015, 11:16

Lufthansa-Chef will Überraschungs-Checks für Piloten

Zitat

Der Absturz der Germanwings-Maschine in den Alpen hat die Lufthansa verändert – und geeint. Für die Hinterbliebenen des Unglücks will man alles tun, sagt Lufthansa-Chef Carsten Spohr im Gespräch mit der F.A.Z.: Piloten werden wohl unangekündigte Gesundheits-Checks erleben.

Es ist das erste Zeitungsgespräch von Carsten Spohr, nachdem das zuvor Unvorstellbare passiert ist. Und dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Lufthansa merkt man dabei an, wie sehr das Ereignis den Konzern und ihn selbst beschäftigt. Der Absturz der Passagiermaschine der Tochtergesellschaft Germanwings über den französischen Alpen, durch den 150 Menschen ums Leben kamen, wird den Alltag der Lufthanseaten nachhaltig prägen.

„Unsere Mitarbeiter stehen täglich mit den Angehörigen der Opfer in persönlichem Kontakt“, beschreibt Spohr die Lage, fast zwei Monate nach der Katastrophe. Diskussionen über Reformen des Fliegens und der Flugsicherheit laufen auf Hochtouren. „Im Gegensatz zu anderen Vorfällen in der internationalen Luftfahrt lassen sich nach dem Germanwings-Unglück bisher noch keine weiteren eindeutigen Konsequenzen für die Sicherheit an Bord ableiten. Aber selbstverständlich arbeiten wir daran, das Risiko des Fliegens immer weiter zu minimieren. Unser Sicherheitspilot hat nun eine konzernweit einheitliche Verantwortung – und berichtet seit Anfang April an den Konzernvorstand“, sagt der Vorstandsvorsitzende, der als langjähriger Chef des Passagiergeschäfts erst vor einem Jahr an die Spitze in der Frankfurter Zentrale rückte.

Nach ersten Hinweisen auf die Motive des Kopiloten Andreas L., der nach bisherigen Erkenntnissen den Tod von 149 Menschen verursachte, führte die Lufthansa das Vier-Augen-Prinzip im Cockpit ein. Verändert wird auch die Technik der Sicherheitstüren an Bord, um die Gefahr von Einzelaktionen eines Piloten künftig zu minimieren. Was die laufende Kontrolle der Flugtauglichkeit der Piloten angeht, sind rasche Reformen für den Lufthansa-Chef ebenfalls unerlässlich.

Aus streng formaler Sicht gab es an der Einsatzfähigkeit des Kopiloten von Germanwings zwar keinen Zweifel, da er über eine gültige Fluglizenz und den erforderlichen Tauglichkeitsnachweis (Medical Check) verfügte. Im Zuge der Enthüllungen nach der Katastrophe im März kamen jedoch brisante Details aus dem Privatleben ans Tageslicht, die einen solchen Befund nicht mehr zulassen: So ließ der Kopilot seinen Arbeitgeber und das zuständige Luftfahrt-Bundesamt über seine labile Seelenlage gezielt im Unklaren, obwohl er laut EU-Recht zur persönlichen Offenbarung verpflichtet gewesen wäre.

Unangekündigte Kontrolluntersuchungen ein mögliches Mittel

Solchen Schwachstellen im System ist Spohr auf der Spur. Auch wenn Auslese und Ausbildung der Lufthansa über Jahrzehnte der Goldstandard in der Branche waren, erscheinen die Härtetests zur Messung der Seelenlage eines Piloten nach der Germanwings-Tragödie weder ausreichend noch zeitgemäß. „Mögliche Erkenntnisse über die Motive des Kopiloten könnten aus einer sogenannten psychologischen Autopsie resultieren, die jetzt im Zuge der Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft durchgeführt wird“, kündigt Spohr an. Namhafte Psychoanalytiker und erfahrene Therapeuten gehen auf Grundlage der bisher bekannten Symptome und Verhaltensmuster des Kopiloten von Germanwings davon aus, dass er unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung litt, bei der Depressionen allenfalls als Begleiterscheinung auftreten. Generell gilt: Ein solches Krankheitsbild ist weder durch Psychotests noch durch längere Therapien präzise zu erfassen.

Hinweise auf mögliche Störungen der seelischen Verfassung kann eine Medikation wie die regelmäßige Einnahme von Antidepressiva liefern. Sie werden allerdings auch gegen chronische Schmerzen eingesetzt und sind somit keine eindeutigen Indikatoren für seelische Krankheiten. Unangekündigte Kontrolluntersuchungen für Piloten, die zumindest in ihrem Überraschungseffekt mit den Doping-Tests für Profisportler vergleichbar wären, nennt Spohr als ein mögliches Mittel, um Unsicherheiten in diesem Bereich zu verringern – wobei er das Wort „Doping-Test“ selbst nicht in den Mund nimmt. Darüber hinaus müsse sorgfältig geprüft werden, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Ausnahmefällen die zuständigen Flugärzte von ihrer gesetzlich verbrieften Schweigepflicht entbunden werden können.

Für die Lufthansa selbst gibt es sowieso kein Schweigen mehr. Unter anderem auch mit Ulrich Wessel, dem Schulleiter des von der Katastrophe besonders stark betroffenen Joseph-König-Gymnasiums in Haltern, hat sich ein intensiver Austausch entwickelt. Und neben den 500 freiwilligen Helfern im Konzern, die eilige Anfragen direkt beantworten, Formalien möglichst unbürokratisch erledigen oder an Spezialisten verweisen, ist eine Schar von professionellen Post-Trauma-Fachleute im Einsatz, um für fachkundige Nachsorge der Hinterbliebenen zu sorgen.

„Vertrauen der Fluggäste in uns hat eher zugenommen“

Für Europas größte Fluggesellschaft, die schon länger mit wirtschaftlichen Problemen kämpft und mitten in einem tiefgreifenden Konzernumbau steckt, steht viel auf dem Spiel: „Der Absturz hat natürlich zu einem absoluten Ausnahmezustand in der sechzigjährigen Unternehmensgeschichte geführt. In der Belegschaft hat dies auch zu starkem inneren Zusammenhalt und mentaler Stärke geführt“, räumt Spohr ein.

Durch den sensiblen Umgang mit der Krise sind Grundwerte der Lufthansa wie Verlässlichkeit, Transparenz oder Kundenkulanz eher bestätigt denn beschädigt worden, glaubt der Lufthansa-Chef. Hohe Buchungsausfälle oder öffentliche Attacken von Kunden, denen jüngst Malaysia Airlines oder Air Asia im Nachgang von Flugzeugabstürzen ausgesetzt waren, sind der Gesellschaft erspart geblieben. Im Gegenteil: „Die Marken Germanwings und Lufthansa haben diesen Tiefschlag zum Glück gut verkraftet“, zitiert Spohr aus Kundenumfragen, „und das Vertrauen der Fluggäste in uns hat sogar eher zugenommen.“

Der Absturz hat auch deutliche Spuren in der Befindlichkeit der Lufthansa-Piloten hinterlassen. Spohr stellt sich aber vor diese Berufsgruppe: „Wir sind auf selbstbewusste Kollegen, die ein Flugzeug steuern, weiterhin dringend angewiesen, und sie bleiben ein Teil der DNA unseres Unternehmens“, sagt Spohr, der selbst über eine Pilotenlizenz für eine Airbus-Maschine des Typs A320 verfügt. Die Krise hat zudem zwei Parteien wieder zu Verhandlungen geführt, die über Monate wegen diverser Tarifthemen und das Zukunftskonzept der Lufthansa zerstritten waren, eines Konzerns, der insgesamt 110.000 Mitarbeiter beschäftigt und rund 30 Milliarden Euro im Jahr umsetzt.

Hohen Kosten belasten die Erfolge

Mit 13 Arbeitskämpfen binnen einem Jahr legten die 5400 Piloten der Lufthansa zeitweise den Flugbetrieb lahm. Neben der Frührente oder höheren Gehältern stand in diesem Konflikt auch der Umbau des Konzerns zur Debatte, durch welchen den Billigflugangeboten eine strategisch wichtige Bedeutung zuwächst. Der Strategiewechsel macht vor allem Abstriche bei den Personalkosten erforderlich, die um bis zu 40 Prozent unter dem aktuellen Niveau der Lufthansa liegen sollen.

Spohr ist erleichtert, dass die Branchengewerkschaft Vereinigung Cockpit, welche die Interessen der Lufthansa-Piloten vertritt, vor wenigen Tagen einer Gesamtschlichtung zugestimmt hat. „Wir haben 13 Flugbetriebe in der Lufthansa Gruppe und können nur dort wachsen und neue Arbeitsplätze bieten, wo wir Wert schaffen.“ Gemeint ist vor allem der Ausbau der Billigflug-Plattform Eurowings, die sich gegen die aggressiven Preisbrecher in Europa, Easyjet und Ryanair, behaupten muss. Um die Verhandlungen über die insgesamt sechs offenen Tarifthemen unter der Regie eines Schlichters zügig anzugehen, soll über das umstrittene Konzept von Eurowings in einer separaten Arbeitsgruppe beraten werden.

Die Gefahr, dass sich durch zähe Verhandlungen der Konzernumbau verzögert oder sich intern neue Blockaden auftun, sieht Spohr nicht: „Viele Entscheidungen zum Aufbau der neuen Eurowings berühren den Konzerntarifvertrag nicht.“ Insofern sieht sich der Lufthansa-Chef im Zeitplan.

Während sich die Lufthansa auf die lukrative Fernrouten nach Nordamerika oder Asien konzentriert, sollen die Gesellschaften der Eurowings-Gruppe jenen Teil des Europaverkehrs sowie ausgewählte Langstrecken bedienen, die abseits der Heimatbasen in Frankfurt und München liegen. Dass sich das Zwei-Marken-Konzept im Passagiergeschäft auf Dauer rechnet, steht für Spohr außer Frage: „Ein Rückzug aus diesem Segment steht nicht zur Debatte.“ Germanwings, das Herzstück der Eurowings-Gruppe, werde wie geplant von 2015 an Gewinne vorweisen.

Neben dem Kostenabbau im Passagiergeschäft rangiert der Erhalt der Finanzkraft auf der Agenda des Konzernlenkers ganz oben, um die Zukunftsfähigkeit der Lufthansa zu sichern. Doch damit steht es gegenwärtig nicht zum Besten. Die aktuellen Pensionslasten des Konzerns gipfeln gegenwärtig bei 15 Milliarden Euro. Das sind 40 Prozent der Bilanzsumme oder 250 Prozent des Eigenkapitals für ein Unternehmen, das an der Börse nur 6,3 Milliarden Euro wert ist. „Wir haben mit der Kündigung unserer mit 6 Prozent Zins garantierten Betriebsrenten, die in anderen Unternehmen längst vollzogen war, zu lange gezögert“, räumt Spohr selbstkritisch ein. „Daran war eine manchmal zu konsensorientierte Führung, zu der ich auch gehörte, nicht ganz unschuldig.“

Nicht nur diese Erblasten belasten die Erfolge im Tagesgeschäft. Auch der aktuelle Mittelzufluss (Cash-Flow), der sich zuletzt auf nahezu 2 Milliarden Euro halbierte, sowie die dürftige Eigenkapitalquote von nur noch 7,5 Prozent sorgen für Irritationen in der Finanzszene. „Die aktuelle Finanzkraft reicht aus, um unsere Flotte in der heutigen Dimension wie geplant zu modernisieren“, ist Spohr überzeugt.

Quelle: FAZ